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CHRISTIAN WAGNER über STILLE SEHNSUCHT – WARCHILD
Es gibt viel Krieg auf der Welt. Darunter haben besonders Kinder zu leiden. Würden Sie Ihren Film als einen Appell gegen den Krieg sehen?
Als wir das Projekt angefangen haben, war es der Irakkrieg, heute ist es der Nahe Osten und morgen und übermorgen eine andere Krisenregion. Wir sitzen vor dem Fernseher und sind an diese Meldungen bereits gewöhnt. Selten wird von den Zivilisten, von unschuldigen Alten oder Kindern, von Frauen oder Friedfertigen berichtet, die einfach ausradiert werden. Angriffspolitik hat immer zur Folge, dass der Krieg, egal auf welcher Seite, in den Herzen der Menschen tiefe Spuren hinterlässt.
Aber der Krieg sollte uns bei STILLE SEHNSUCHT – WARCHILD mehr als eine Folie dienen, vor der sich die Handlung abspielt. Die Wiederholung altbekannter Klischees und Gewaltbilder schien mir weniger interessant als eine universell verständliche und weltweit identifizierbare Geschichte zu erzählen und dem Publikum nahe zu bringen.
In STILLE SEHNSUCHT – WARCHILD geht es um eine der schrecklichen Auswirkungen, die Kriege hinterlassen und die oft vernachlässigt werden: das Schicksal der Waisenkinder.
Die Zahl der Waisen in Ex-Jugoslawien ist nicht richtig festzustellen. Offiziell sind es allein in Bosnien über 2.500 Kinder. Aber sie ist höher als vermutet und von diesen Kindern ohne Eltern spricht man fast nie. In Sarajevo, wo wir drehten, hatte jeder Taxifahrer, Rezeptionist oder Trainer von „seinen Vermissten“ zu berichten und sofort Tränen in den Augen. Noch heute gibt es Eltern in Ex-Jugoslawien, die Ihre Kinder bei Adoptiveltern im Ausland wissen, aber keine Chance haben, ihre Tochter oder ihren Sohn zurückzubekommen.
In Ihrem letzten Film Ghettokids ging es schon um Kinder, die unter schwierigen sozialen Bedingungen leben müssen. In STILLE SEHNSUCHT – WARCHILD geht es auch wieder um ein Kind, das in einer speziellen Situation aufwächst. Interessiert Sie das Thema Kinder besonders?
Kinder sind unsere Zukunft. Und da stellt sich die Frage, was wird ihnen heute an gesellschaftlichen Spannungen alles zugemutet. Als Edin Hadzimahovic, der Drehbuchautor, mir damals seine Lieblingsgeschichte erzählte, die von einem bosnischen Großvater handelt, der sein Enkelkind in London findet, aber nicht mit nach Hause nehmen kann, war ich wie elektrisiert: Es ist die Geschichte von Verlust, Vermissen und auch wieder Zusammenkommen, aber weniger eine Geschichte über Kinder. Da geht es um Konflikte, die in Familien öfter eine Rolle spielen, als es uns bewusst ist. Trennung, Scheidung, Ortswechsel sind doch alltägliche Dinge, mit denen heute nicht nur Kinder klarkommen müssen.
Außerdem werden wir in unseren Schulen zunehmend mit multikulturellen Mischklassen konfrontiert. Da lohnt es, die Schicksale dieser Mitschüler und deren eigentlicher Heimat oder Mentalität einmal zu durchleuchten. Das trägt vielleicht zu einem besseren Verständnis bei.
Senada folgt konsequent ihrem Weg, in der festen Überzeugung ihre Tochter wieder zu finden. Sehr ungewöhnlich für eine Frau, der der Krieg alles genommen hat.
Am Anfang des Filmes sieht man eine junge, moderne Frau, die nach Außen hin ein ganz normales Leben führt, die arbeitet, sich mit ihren Freundinnen trifft und in die Disco geht. Doch man merkt, dass es da noch etwas anderes gibt, dass sie nicht frei ist, dass sie etwas krampfhaft verdrängt. Mich interessiert es, bei all meinen Filmen, hinter die Fassade zu schauen, hier z.B. bei einer starken Frau, die ihrer Intuition, das Kind könne noch leben, unbeirrbar folgt und Schritt für Schritt einen Weg beschreitet, um die Wahrheit herauszufinden. Es ist wie ein leises Märchen von einem verlorenen Traum.
In STILLE SEHNSUCHT – WARCHILD geht es insbesondere auch um das Auseinanderfallen von Familie. Ein modernes Thema, die Patchwork-Familie kommt ins Spiel. Ist die Struktur der Familie, so wie wir sie im klassischen Sinne verstehen, überholt und was bedeutet Ihnen Familie?
Interessant ist, dass es heutzutage wieder in Mode geraten ist, dass junge Menschen aus einem Wunsch der Geborgenheit heraus, wieder früher heiraten. Gleichzeitig ist es nun mal so, dass die Großfamilie nicht mehr existiert. Das Zusammenleben dreier Generationen in einem Haus hatte ja enorme Vorteile, aber auch Enge und Unfreiheit zur Folge. Heute sind wild zusammen gewürfelte Familien oft Realität. Diese Konstellationen haben naturgemäß ein hohes Maß an Konfliktpotential. Dem müssen wir uns stellen. Die Familie ist immer noch das höchste Gut, allerdings mit gewachsenen Aufgaben. Eltern von heute „sollen oder müssen“ einfach alles vereinbaren können: Kinder, Karriere, Selbstverwirklichung. Das geht nicht immer ohne Komplikationen.
Viele Jugendliche sind heute Scheidungskinder. Für Kinder stellt sich die Frage: wo ist für mich mein zu Hause? Bei Mutter, bei Vater, bei beiden? Die Frage nach einer Entscheidung, wo ein Kind denn nun hingehört, wird oft vom Familiengericht geklärt! Etwas Ähnliches erlebt Senada, nachdem sie ihr Kind aufgespürt hat. Für das Elternteil, das ein Kind „zurücklässt“, ist es immer eine unlösbare Aufgabe. Es wird mir auch immer klarer, wie wichtig es ist, eine intakte Familie zu haben. Ich hatte das Glück in einer solchen aufzuwachsen. Dieser Rückhalt hat mir maßgeblich meinen Weg als Filmemacher ermöglicht!
Der Schauplatz von STILLE SEHNSUCHT – WARCHILD ist Bosnien. Auch Ihr Kurzfilm Zita hat indirekt mit Ex-Jugoslawien zu tun, ein weiterer Film Alcatrash ist in Vorbereitung. Diese drei Filme bilden die Balkan Blues Trilogy. Warum engagieren Sie sich als deutscher Regisseur, gerade für die Belange des Balkans?
Ich bin einfach schon lange fasziniert von den „Bewegungen“, die sich in Europa abspielen, Migration und damit verbunden Heimatverlust und Veränderung. Vom Osten in Richtung Westen. Und dann wieder zurück. Wo sind wir denn heute zu Hause, ist die Frage.
Der 25-minütige Kurzfilm Zita, der mit einem Spezialpreis der Jury in Turin ausgezeichnet wurde, war der Auftakt für eine Trilogie, deren einzelne Teile zunächst autonom funktionieren. Allerdings wird man, wenn man die drei Teile dann am Stück sehen kann, Figuren erkennen, die in allen drei Episoden vorkommen. So spielt Miranda Leonhardt z.B. als Marija Zitaric in STILLE SEHNSUCHT – WARCHILD das Mädchen in der kroatischen Pension Dubrovnik. Wenn man ZITA gesehen hat, kennt man ihr Schicksal. In Alcatrash wiederum wird sie eine der Hauptrollen spielen und wegen eines ominösen Auftrags zurückkehren in die Balkanregion. Dabei werden wir auch die Geschichte von Senada weitererzählen. Das soll Echos erzielen, andere Bezüge herstellen und neue Zusammenhänge bilden.
Sie haben Ihren Cast vorwiegend mit einheimischen Darstellern besetzt.
Labina Mitevska kannte ich aus Before the Rain von Milcho Manchevski, Welcome to Sarajevo und Wish you were here von Michael Winterbottom. Ich präge mir immer Schauspieler ein, mit denen ich gerne einen Film drehen würde, dazu gehörte sie. Dass es dann geklappt hat, war ein Glücksfall.
Ich habe aber nicht nur Labina Mitevska, sondern auch die anderen ausländischen Schauspieler, gerade Senad Basic (Samir) oder Zdenko Jelcic (Dzigera) bei den Dreharbeiten als sehr disziplinierte und engagierte Arbeitspartner erlebt. Immerhin sind sie alle Stars in ihren Ländern.
In welcher Sprache haben Sie gedreht? Gab es Schwierigkeiten in der Kommunikation?
Die Sprache des Kinos ist so international, dass sie nie ein Hindernis sein kann, auch wenn es nicht leicht ist, sich in einer anderen Sprache als der Muttersprache auszudrücken. Wir haben auf Englisch, Deutsch und Bosnisch, Kroatisch und Serbisch miteinander kommuniziert. Insgesamt waren im Team 17 Nationalitäten vertreten. Unsere Hauptdarstellerin spricht nicht Deutsch, deswegen hatte Labina dann einen Sprach-Coach, mit dem sie Deutsch lernte.
Sie haben zum Teil an Originalschauplätzen in Bosnien gedreht. Wie haben Sie die Drehgenehmigung bekommen und wie war die Unterstützung der Leute vor Ort?
In der Co-Produktion hatten wir erfahrene Aufnahmeleiter und ausführende Co-Produzenten, die das für uns sehr toll organisierten. Ich war sehr oft in Bosnien, jede Motivsuche bedeutete 2.500 km Rundreise mit dem Auto, da Fliegen wegen der verstreuten Locations nicht sinnvoll war. Wir haben knapp über 30 Tage gedreht, in 3 Ländern, an 7 Orten. Das ist schon ein Druck, der auf einem lastet, um das Pensum zu bewältigen – noch dazu in einem fremden Land. Das Drehen musste enorm genau nach Plan vonstatten gehen. Das kann man nur mit Unterstützung und Engagement des gesamten Teams machen.
Sie haben in der slowenischen Produzentin Dunja Klemenc eine Partnerin gefunden. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Ich traf Dunja Klemenc in München das erste Mal über die Vermittlung von Barbara Glauning, die von meinem Projekt wusste. Als majoritärer Produktionspartner bin ich natürlich dankbar für die Möglichkeit mit einer seriösen und erfolgreichen Produzentin wie Dunja Klemenc zusammenarbeiten zu können, die mir aufgrund ihrer Erfahrung in Ex-Jugoslawien mit Rat und Tat zur Seite stehen konnte,
War es schwierig Partner bzw. Förderer vom Stoff Ihres Films zu überzeugen?
Zunächst haben Edin und ich das Projekt allein entwickelt und dann in Uli Hermann vom SWR einen Redakteur gefunden, der sich früh engagierte und diesen Film wirklich wollte. Er entwickelte mit uns lange und ausdauernd. Bettina Reitz vom BR und später Arte kamen schnell ins Boot als die erste Fassung des Drehbuchs stand. Als erste Initialförderung kam die MFG Baden-Württemberg, später der FFF-Bayern und dann BKM. Erst später gelang mir die Partnerschaft mit Dunja Klemenc, die uns die allererste deutsch-slowenische Co-Produktion bei Eurimages ermöglichte und ohne die der Film dann nicht gedreht werden hätte können. Von der ersten Idee mit Expose bis zum Kinostart vergingen dann letztlich vier Jahre. Da muss man dann von einer Geschichte und der Dringlichkeit schon überzeugt sein!
Sie haben wieder mit dem Kameramann Thomas Mauch zusammengearbeitet.
Kino bedeutet für mich letztlich, die seelischen Zustände, die verborgenen Seiten meiner Protagonisten in konzentrierten Bildern zu spiegeln. Bisher hatte ich das Glück mit einigen der größten deutschen Kameramänner zu drehen: Jürgen Jürges bei Zita und Ghettokids und nun wieder mit Thomas Mauch, der schon bei Wallers letzter Gang hinter der Kamera stand. Beides sind Künstler, die jeweils höchste optische Qualität garantierten. Wir wollten keinen modischen „look“ – die Geschichte sollte im Mittelpunkt stehen. Auch hier wollten wir ähnlich wie in meinen anderen Kinofilmen über atmosphärische Bilder ohne Pathos ein Psychodrama erzählen, das überraschend und mit leichter Hand, in eine Stimmung der Erleichterung mündet.
Was wünschen Sie sich für die betroffenen Familien? Ist die Lösung in Ihrem Film, die für sie richtige bzw. schlüssige?
Über das Ende haben wir lange nachgedacht. Ein salomonisches Urteil von höherer Warte gibt es hier nicht, jeder kann es selbst finden, schließlich kann man das Kind nicht in der Mitte teilen und beiden Eltern jeweils eine Hälfte mitgeben ...
Ich wünsche den Familien, dass sie inneren Frieden finden. Wie in meinem Film: Senada ist auf der Suche nach ihrem Kind und doch ist sie weit mehr auf der Suche nach Erlösung von ihrem Trauma. |